button open menu
En Fr De

The sensory, the visible, the images
Antonia Birnbaum
2006

Sinnliches, Sichtbares, Bildliches. Wir haben daran teil. Doch kann jedes verschiedenartig sich darstellen, ebenso wie der Übergang zwischen Sinnlichem und Sichtbarem, Sichtbarem und Bildlichem verschiedenartig sich darstellen lässt.

Worin besteht die Existenz der Dinge? In einer sinnlichen Präsenz. Doch ist diese nie ein In-sich-Abgeschlossenes. Die Dinge existieren in ihrer Ausdehnung, schlagen in Sichtbarkeit um. Der sichtbare Gegenstand gehört nie ganz dem Gegenstand an, er renkt von ihm aus; seine Ähnlichkeit rührt nicht aus einer substantiellen Innerlichkeit, sondern entstammt einer Abtrennung vom Umgebenden: Die Ähnlichkeit eines Dinges hebt sich vom Rand der anderen Dinge ab.

Ausschnitt, Umrandung, Strich: das Sichtbare läuft von Rand zu Rand, gliedert Formen, stellt sie hier und da, bringt sie neben- und durcheinander, legt und verlegt sie. Ihre Umrisse überschneiden und überlagern sich in unbeständige Verteilungen einer Oberfläche, die gleichgültig alle sinnlichen Eigenschaften aufnimmt. Ein amorpher Raum, von all dem unterschieden, was darin sich einschreibt, eine unbewohnte Fläche, worauf Sichtbares sich entfaltet. Der Standort ist die leere Spannung eines Abstandes, ein Intervall, auf dem sich Formen ausmalen und gestalten. Hier wird weder reduziert noch abstrahiert: Die unbeschriebene Ausdehnung lässt sich indifferent von allen Zeichen, allen Linien markieren, die darin eine Vielfalt von Feldern abgrenzen.

Dieser Abstand des Sichtbaren ist keine sinnliche Präsenz der Idee, einfach weil die Sichtbarkeit des Sinnlichen – sein Pulsieren außerhalb seiner selbst – schon die vollkommene Bestimmung seiner Erkennbarkeit ist, ohne jegliche Unterordnung. Ebenso ist die Einsicht des Blickes in sich schon ein Gedanke, ohne jedweden Bezug zur Sprache.

Die Vertiefung und Herstellung eines solchen Pulsierens ist genau das, was „Bild werden“ bedeutet. Eine Leere wird geschaffen, ein Raum abgetrennt und autonom gemacht, die Wirklichkeit zugunsten einer Freilegung des Sichtbaren abgetragen. In dieser „entorteten“ Lage – der Realität des Irrealen gewidmet – bezieht das mimetische Vermögen seine Dynamik aus seiner eigenen aporetischen Ableitung: es schafft eine als verdoppelt gedachte und gewünschte Existenz, die des Bildes.

Genauso verfährt Susanna Fritschers Arbeit. Anstelle der Frage von Bedeutung oder Materialität wirft sie jene auf: Wo ist das Werk?

In der galerie cent8: Wände und Türen, Fenster und hereinfallendes Licht, Laufen und Schauen des Betrachters: dazu Plexiglasflächen, die den Raum durchschneiden. Die unmerkliche Schattierung der Farbe gradiert die Flächen von Opak bis Transparent.

Sind es Bilder? Die Bildflächen zeigen nichts, nichts außer ihrer eigenen Oberfläche. Das Aufheben des Zeigens kehrt die Richtung um, in der das Bild entsteht: Die Flächen stellen kein „Zusätzliches“ in einem Raum aus, der dazu eingerichtet wäre, sondern die Sichtbarkeit ihrer Umgebung auf eine Weise jedoch, die alle bestehenden Bezüge unverkenntlich durcheinanderwürfelt oder neutralisiert.

Der Blick wagt sich im Raum vor. Auf der einen Seite eine von Fenstern durchsetzte Wand; dem gegenüber eine weiße Wand. In der Mitte drei in gleichen Abständen hängende Bildflächen. Spiegelung und Ausschnitt des Visuellen verstellen die Raumgestaltung. Orientierungspunkte verirren sich. Außer einem Blick von oben auf eine Gestalt im Hintergrund verdichtet sich alles auf eine und dieselbe Fläche: die Wand mit den Fenstern, der Maß des Raums, ein Aushaken, die Hälfte der Gestalt im Hintergrund. Die Bildfläche fügt all diese Raumfragmente in eine heterogene visuelle Sequenz ein.

Der Blick durchläuft die Fläche bis zum Rande, weicht von ihr ab, richtet sich wieder darauf. Was er sieht, entsteht und vergeht je nach der Bewegung. Auf dem Plexiglas stellen sich Raumkoordinate wie bildliche Eindrücke dar. Bilder erscheinen und verschwinden, ohne je sich in die Fläche einzuschreiben. Es ist, als wären Bruchstücke des Raums ihrem Platz in der Wirklichkeit entlaufen, um ihre eigene Virtualität zu durchwandern. Die unbeständige Gestaltung des Bildes ist an seine Wahrnehmung gebunden: Es wirkt wie ein vorübergehender Haltepunkt, flüchtig wie das Vor- und Zurücktreten des entziffernden Blickes.

Keine unverwischbare Spur hält das Sehen auf, keine Fokalisierung drückt dem Sichtbaren einen totalisierenden Standpunkt auf. In der wandelbaren Stellung eines Zwischenraumes versetzt, trennt und verbindet ein prekärer Blick beide Momente des Bildes: die Zeichen und die Leere der Zeichen.

In Les Arques, draußen. Die Welt der Ausdehnung bricht aus den Rändern und aus der Zeit. Ein Streifen durchsichtiger Folie kreuzt den Dorfweg als eine unwahrscheinliche Horizontale. Vor dem grünen Hintergrund der Bäume erscheint sie auf Augenhöhe gestellt wie ein vom Himmel heruntergeholtes Band. Auf dem Hintergrund der lichtüberfluteten Kirche saugt der Streifen den Ocker der Steine und löst ihre Linearität in einer unmerklichen Farbabstufung auf. Bald setzt die Transparenz ein farbloses Feld auf ein dunkles Relief, bald mildert sie die scharfen Linien einer Mauer zur farbigen Opazität ab.

Susanna Fritschers Werk zeugt von einer paradoxen Umkehrbarkeit des Bildes. Die neutrale, materiell reproduzierbare Fläche des Plexiglases erlaubt den flüchtigen Transport substanzloser visuellen Zeichen. Diese fluktuierenden Bilder existieren nur im Zeitraum des Entzifferns; ihre Umrisse gehen aus der Dauer und der Distanz des Blickes, der sie nachzeichnet, hervor. Als einzige Realität haben sie die Unreproduzierbarkeit, die jeden Erfahrungsakt einschließlich des jeweils einzigartigen Akts des Sehens kennzeichnet.

Umgekehrt weist das wiederholte Aufleuchten flüchtiger Bilder die Plexiglasfläche als das logische, unreproduzierbare a priori einer Leere aus, worauf sich alle Zeichen einprägen. Diese einzuschreibende Ausdehnung meint nicht mehr die Fläche als ein Reales, sondern als einen ersten Zwischenraum, die Matrix jedweden Bildes.

Materielle Reproduzierbarkeit der Fläche, Unreproduzierbarkeit des Blickes. Wiederholbarkeit der Bilder, Vorangehen einer Ausdehnung. Die Umkehrbarkeit des Werkes ruiniert die symmetrische Einteilung des Reproduzierbaren und Unreproduzierbaren, sie experimentiert ihr Verhältnis jenseits der Unterscheidung von Original und Kopie.

Lenkt die Leere der Bilder die Aufmerksamkeit auf die Fläche als solche, so lässt die Materialität einen Zwischenraum spürbar werden; die Vervielfältigung der Flächen an einem Ort „kopiert“ diesen Zwischenraum nicht, sondern prägt seinen Abstand, teilt die Leere in so viel Leere wie nötig, ohne dass diese Teilung je das Vorangehen des Zwischens auflöst. Die amorphe Ausdehnung – wortwörtlich: was ohne Form ist – deckt sich mit keiner umschriebenen Fläche, sie schneidet alle an. Ebenso ist die unreproduzierbare Erfahrung des Sehens nicht die eines Ursprungs, sondern einer vorübergehenden Gestaltung des Sichtbaren. Dieser Wunsch zu sehen wird in keinem Einmal erschöpft, sondern im ewigen „Noch-Einmal“ der Wiederholung entgrenzt.

In ihren vielen Variationen der Grenze nähern sich Susanna Fritschers Installationen immer wieder der entstehenden Schwelle vom Sichtbaren: Blick und Bild stoßen in einer Spannung aufeinander, wo nichts feststeht, noch eingeschrieben ist, in der einfachen Bloßlegung ihrer Verschränkung. In diesem wenig zu sehen ist viel zu schauen. Den Anfang streifen, so stellt das Werk den Ort heraus.